Alexander Saberschinsky


Warum die Guten
nicht die Dummen
sind


Katholische Soziallehre heute
184 Seiten, kartoniert
12,5 x 20,5 cm
DM 24,80/öS 181,-/
sFr 23,50
ISBN 3-7902-0086-7

Paulinus Verlag GmbH
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54220 Trier
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Der Autor

Alexander Saberschinsky, Jahrgang 1968; Studium der Katholischen Theologie an der Theologischen Fakultät Trier sowie der Germanistik und Medienkommunikation an der Universität Trier; Dipl.-Theol., zur Zeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Sozialwissen schaft an der Theologischen Fakultät Trier.
 

Aus dem Inhalt

  1. Was ist und was will Katholische Soziallehre?
  2. Menschenrechte – ein Ethos für das neue Jahrtausend?
  3. Ist mit Tugenden noch "Staat zu machen"?
  4. Soziale Aspekte der  Gerechtigkeit 
  5. Arbeitslosigkeit – und kein Ende? 
  6. Globalisierung –  Leben im "global village"

Mit welcher Kompetenz äußert sich die Kirche zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen? Der Kirche geht es um die Menschen, die nicht zu denken sind ohne ihre sozialen Bindungen und das wirtschaftliche Gefüge, in dem sie leben. Deshalb setzt sich die Katholische Soziallehre mit den sozialen Fragestellungen auseinander. Sie will in der gesellschaftlichen Diskussion über wirtschaftliche und soziale Prinzipien einen Beitrag leisten. Dieses Buch nimmt die Katholische Soziallehre beim Wort und stellt ihre Aussagen zu vier aktuellen Problemstellungen auf den Prüfstand: Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, Globalisierung.

 

Einleitung

Seit der ersten Sozialenzyklika sind über hundert Jahre vergangen. Von diesem Zeitpunkt an meldet sich die Kirche immer wieder – vor allem in weiteren Sozialenzykliken – zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu Wort. Auch in Deutschland haben der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz 1997 einen gemeinsamen Text "zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" herausgegeben. Das scheint zunächst nicht verwunderlich, ist aber so selbstverständlich auch nicht. Mit welcher Kompetenz äußern sich Kirchen zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen? Sollten sie sich nicht besser um das Seelenheil ihrer Schäflein kümmern, als sich in Problemen dieser vergänglichen Welt zu verstricken? In sozialen Fragen wird man der Kirche – nicht zuletzt aufgrund ihres großen Engagements zum Beispiel durch Diakonie und Caritas – die Kompetenz noch am ehesten zugestehen. Aber hat sie auf dem Gebiet der Wirtschaft mehr aufzubieten als Halbwissen?

Sicher ist es nicht die vorrangige Aufgabe der Kirche, als zweite Kraft neben dem Staat das soziale und wirtschaftliche Gefüge zu ordnen. Doch sehr wohl muß es der Kirche um die Menschen gehen, die nicht zu denken sind ohne ihre sozialen Bindungen und das wirtschaftliche Gefüge, in denen sie leben. Daher kann sich die Kirche nicht damit begnügen, irgendwelchen kleinen eigenen Zielen nachzugehen, sondern muß sich um das Wohl der Menschen sorgen. Die Kirchen haben eine unabstreitbare Verantwortung in der Mitgestaltung des Gemeinwohls. Glaube kann sich nicht in einem individuellen Akt erschöpfen, sondern ist im Bekennen und Bezeugen weltbezogen. "Welttüchtigkeit" statt "Weltflüchtigkeit" ist von der Kirche gefordert. Deshalb kann es für den Christen keinen Rückzug ins Private geben, sondern er muß sich gerade aufgrund seines Glaubens um der Menschen willen in das "schmutzige Alltagsgeschäft" einmischen. Es ist eine vorrangige Aufgabe der Kirche, in allen konkreten Diskussionsfragen die unveräußerbare Würde des Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und sie als Maßstab aller Entscheidungen anzumahnen. Der Mensch darf nie zum Objekt einer Entscheidung werden, sondern muß deren Subjekt bleiben. Daß dies in der Diskussion über gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen nicht in Vergessenheit gerät, ist der Part der Kirche. Es ist nicht ihre Aufgabe, selbst ein neues Gesellschafts- oder Wirtschaftssystem zu erfinden.

Damit ist nicht nur die Aufgabe der Kirche insgesamt beschrieben, sondern auch bereits das Anliegen der Katholischen Soziallehre charakterisiert, in der sich die Kirche gezielt mit sozialen Fragen auseinandersetzt. Die Katholische Soziallehre erhebt den Anspruch einer theologischen Disziplin, doch begnügt sie sich nicht damit, allein in den binnenkirchlichen Raum zu sprechen. Zwar sind vor allem auch die katholischen Christen angesprochen, doch die darüber hinausgehende ausdrückliche Adressierung der neueren Sozialenzykliken "an alle Menschen guten Willens" macht unmißverständlich deutlich, daß die Katholische Soziallehre auch den Dialog über den kirchlichen Rahmen hinaus sucht. Sie will in dem gesellschaftlichen Diskurs außerhalb der Kirche einen Beitrag leisten. Daher sieht sie es als ihre Aufgabe, die ethischen Prinzipien nicht nur aus der Offenbarung zu erheben, sondern sie auch für eine rationale Begründung transparent zu machen.

Wie gesagt, die Kirche setzt sich in der Katholischen Soziallehre gezielt mit sozialen Fragestellungen auseinander. Dabei ging es nur anfänglich um die Arbeiterfrage Ende des 19. Jahrhunderts. Inzwischen hat sich der Problemkreis und damit auch der Themenkreis der Katholischen Soziallehre geweitet. Er umfaßt den Bereich der Rechtsordnung, der sozialen Ordnung, der Wirtschaftsordnung und der politischen Ordnung. In der Rechtsordnung thematisiert die Katholische Soziallehre Fragen nach dem Recht, dem Gesetz und der Gerechtigkeit. Im Bereich der sozialen Ordnung sind Themen wie Gesellschaft, Familie, Sozialstaat, Verbände und Medien angesiedelt. Die Wirtschaftsordnung wendet sich Aspekten wie dem des Kapitals, der Arbeit und Arbeitslosigkeit, der Marktwirtschaft, des Eigentums und der Entwicklungshilfe zu und macht sie zum Thema der Wirtschaftsethik. Die politische Ordnung schließlich beschäftigt sich mit der Staatslehre, Rechten und Pflichten des Bürgers, dem Verhältnis von Staat und Kirche sowie der Frage nach Krieg und Frieden.

Das Anliegen der vorliegenden Ausführungen ist es, die Katholische Soziallehre beim Wort zu nehmen und ihre Aussagen auf den Prüfstand zu stellen. Es wurde erwähnt, daß sie den Anspruch erhebt über den Tellerrand der Kirche hinauszuschauen, um die Weltverantwortung der Kirche wahrzunehmen und in den aktuellen sozialen Fragen unserer Zeit einen Diskussionsbeitrag zu leisten, der in seiner Reichweite über den kirchlichen Rahmen hinausreicht. Daher soll im folgenden zu den eben genannten Bereichen der sozialen Frage, die auch den Horizont der Katholischen Soziallehre abstecken, jeweils eine aktuelle Problemstellung exemplarisch aufgegriffen werden, um in diesem jeweils konkreten Fall die Position und die Anregungen der Katholischen Soziallehre vorzustellen und zu besprechen. Dabei werden sich bestimmte Leitmotive der sozialethischen Betrachtung herauskristallisieren, die im Kontext der jeweiligen Problematik zu behandeln sind.

Den Bereich der Rechtsordnung repräsentiert das gleichermaßen zentrale wie aktuelle Thema der Menschenrechte. In diesem Kapitel besteht die Aufgabe darin, nicht nur zu fragen, woher Menschenrechte kommen, sondern was sich für die Zukunft und über ihre Geltung im globalen Kontext sagen läßt. Neben der Frage, welche Position die Kirche in der Menschenrechtsproblematik bezieht, geht es auch darum, kritisch zu untersuchen, wie Menschenrechte begründet sind und ob sie auf dieser Basis universelle und weltweite Geltung erlangen können.

Der Bereich der sozialen Ordnung wird durch grundsätzliche Überlegungen zur sozialen Gerechtigkeit vertreten. Thema hier ist die Frage nach den Tugenden und dem, was sie leisten können und was nicht, und zwar besonders im Hinblick auf die Tugend der Gerechtigkeit. Davon ausgehend wird der Begriff der sozialen Gerechtigkeit entwickelt. Doch bleibt es durchaus nicht bei theoretischen Erwägungen, wenn anhand der gewonnenen Erkenntnisse einige Anfragen an den Rechts- und Sozialstaat formuliert werden.

Als exemplarisches Thema aus dem Bereich der Wirtschaftsordnung kommt die Arbeitslosigkeit zur Sprache. Mit ihr ist eines derjenigen Themen angesprochen, das uns immer noch auf den Nägeln brennt. Um dem komplexen Problem der Arbeitslosigkeit gerecht zu werden, gilt ein erster Blick dem Phänomen und seiner Erklärung. Im zweiten Schritt besteht die Aufgabe darin, eine sozialethische Perspektive zu entwickeln. Dies geschieht, indem der Arbeitsbegriff der Katholischen Soziallehre thematisiert und die Frage nach einem Recht auf Arbeit diskutiert wird. Abschließend ist zu fragen, was geschehen kann beziehungsweise geschehen muß.

Aus dem Bereich der politischen Ordnung wird die Problematik der Globalisierung aufgegriffen. Damit wird ein Thema behandelt, das wegen seiner Aktualität nicht nur in den Geisteswissenschaften kontrovers diskutiert wird. Denn mit der Globalisierung hat ein Prozeß begonnen, an dessen Beginn wir noch stehen. Umso größer ist die Herausforderung – auch an die Katholischen Soziallehre –, die diese Entwicklung in sich birgt. Hier kann die Katholische Soziallehre erweisen, daß sie nicht nur im Rückblick urteilt, sondern in aktuellen Fragestellungen Orientierung bieten kann, auch und gerade dann, wenn die Richtung des zukünftigen Verlaufs noch unsicher und umstritten ist. Eben dann ist Orientierung am nötigsten. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage nach einer politischen und wirtschaftlichen Ordnung in unserer global vernetzten Welt.

In all dem wird auch vieles vom generellen Anliegen der Katholischen Soziallehre und ihrem Ansatz deutlich werden. Dies ist auch eigens Thema im ersten Kapitel, das vorstellt, was Katholische Soziallehre ist und was sie will. Hier geht es grundsätzlich um die Fragen nach der Autorität und Kompetenz der Kirche im Sozialen, nach der Vermittlung zwischen Normen und konkreten Situationen, aber auch die Frage nach den Grenzen der Katholischen Soziallehre, jedoch vor allem um das Selbstverständnis der Katholischen Soziallehre als Institutionenethik.

Die Quellen für die anzustellenden Überlegungen bilden vielfach die schon genannten Sozialenzykliken. Um die Position der Katholischen Soziallehre zu bestimmen, sind ihre Aussagen zu Rate zu ziehen und fließen daher als Zitate und Belege in den Text ein. Der Übersichtlichkeit halber werden die relevanten Stellen aus den Sozialenzykliken im fließenden Text angegeben, und zwar mit den üblichen Abkürzungen, die in einem Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt sind, das zugleich als Überblick über die Sozialenzykliken dienen mag.

Der Volksmund sagt, daß die Guten die Dummen sind. Es leuchtet ein, daß sich die meisten ihre tugendhafte Haltung schnell abgewöhnen werden, wenn sie fortlaufend in einer Weise bestraft werden, daß sie mit ihrem ethisch guten Handeln stets den Kürzeren ziehen. Damit das nicht geschieht, muß sich Ethik in dem Sinne "auszahlen", daß sich tugendhaftes Handeln im Alltag und auch schon in dieser Welt, nicht erst in einem Jenseits bewährt. Ethik und besonders Sozialethik muß sich daran messen lassen, ob sie heute ein gutes Leben im ethischen Sinne ermöglicht, kurz: Sie muß erweisen, daß die Guten nicht die Dummen sind. Genau das ist die Stärke der Katholischen Soziallehre.

Alexander Saberschinsky