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Qualität fällt nicht vom Himmel
Qualitätsmanagement
baut auf den Mitarbeiter / Von Alexander Saberschinsky
"Lieber
fein und klein" anstelle von "Masse statt Klasse"! Ist
das die unternehmerische Losung der Zukunft? Jedenfalls ist Qualität
in unserer Ex-und-hopp-Gesellschaft wieder gefragt, und das zu einer Zeit,
in der der Glanz von "made in Germany" als Qualitätsgarantie
erblasst. Dem will man wehren: "Qualitätsmanagement" heißt
die Devise, nach der sich nicht nur Firmen reorganisieren. Auch Wohlfahrtsverbänden
und Schulen wird das neue Heilmittel verordnet. Während eine neutrale
Übersetzung das englische "Management" mit "geschickter
Handhabung" übertragen würde, mag man darin eine deutsche
Eigenart sehen, unter Management vor allem Verwaltung zu verstehen. Und die
macht auch vor Qualität nicht halt. So hat man eine DIN ersonnen, nach
der Qualität mess- und zertifizierbar ist. Eine Studie von Mc-Kinsey-Beratern
belegt die Messbarkeit von Qualität. Zwei Fragen sind damit noch nicht
beantwortet. Unternehmer interessiert zu Recht, ob sich Qualität lohnt:
Rechnet sich Qualität für die Firma wirtschaftlich? Zudem fragt
sich: Besteht Qualität nur in guten Produkten? Oder ist sie auch gut
für die Menschen – und zwar für die Kunden wie für die
Arbeitnehmer im Betrieb?
Angesichts des Wettbewerbs in unserer globalisierten Wirtschaft wird Qualität
zum "Muss" für unternehmerischen Erfolg. Denn durch die
Internationalisierung der Märkte sehen sich die Unternehmen einer wachsenden
Konkurrenz ausgesetzt. Der Preiskampf auf Leben und Tod in der internationalen
Arena ist längst eröffnet. Irgendwann aber ist der Zeitpunkt erreicht,
an dem "billiger" keine Alternative mehr ist. Dann schlägt
Kosten- in Qualitätswettbewerb um. Betriebswirtschaftler können
vorrechnen, dass Qualitätsmanagement keine neuen Kosten bedeuten muss
– im Gegenteil: Geringe Qualität rächt sich in Form hoher
Fehler- und Prüfkosten. Hinzu kommt der Imageverlust beim Kunden. Die
Konsumforschung belegt, dass die wichtigste Voraussetzung für das Vertrauen
des Verbrauchers in eine Marke die Qualität des Produkts ist. Für
die bezahlt er erwiesenermaßen höhere Preise.
Mit "guter" und "schlechter" Qualität sind stets
Eigenschaften des Produkts gemeint. Doch auf welche Eigenschaft es ankommt
und welchen Erfordernissen sie genügen muss, entscheidet letztlich der
Kunde. Daher muss die Definition von Qualität davon ausgehen, dass das
Produkt mit den Anforderungen des Kunden übereinstimmt, und zwar in
Funktion, Preis, Sicherheit, Lieferzeit, Zuverlässigkeit, Umweltverträglichkeit,
Service und vielem mehr.
Der Kunde ist nicht nur der Käufer an der Ladentheke
Es gilt: weg von der allein vom Produkt ausgehenden Bestimmung von Qualität,
hin zur Kundenorientierung. Der Kunde aber ist nicht nur der Käufer
an der Ladentheke. Auch der Mitarbeiter ist ein "interner" Kunde:
Denn jedes Produkt entsteht in einem Prozess von Beiträgen, in dem der
Mitarbeiter Lieferant und Kunde zugleich ist. So gesehen steht am Ende der
Kette nur dann ein Qualitätsprodukt, wenn Qualität im Sinne einer
Kundenorientierung in jedem Schritt realisiert wird. Wer nur auf das Endprodukt
schaut, kommt zu spät. Denn Qualität ist eine Frage, die alle Funktionen
und Bereiche eines Betriebes einschließt.
Doch was muss konkret geschehen? Die Erfahrung lehrt, dass Arbeitsorganisationen
überholt sind, die auf Arbeitsteilung, Verantwortungsbegrenzung und
Spezialisierung bauen. Solche Systeme verhindern die Identifikation des Mitarbeiters
mit dem Endprodukt und nehmen ihm das Interesse am Ganzen. Gefragt sind Strukturen,
die den Mitarbeiter ernst nehmen, indem sie ihm sichtbare Mitverantwortung
übertragen. So kann sich auch der Einzelne mit dem gesamten Arbeitsprozess
identifizieren. Dass das seine Motivation stärkt, die Qualität
des Endprodukts zu sichern, leuchtet ein. Ein kluges Management wird auch
Arbeitsabläufe innerhalb der Firma transparent machen und die interne
Kommunikation fördern, damit sich der Mitarbeiter ein Bild von der Kundenerwartung
machen kann. Das missglückte Experiment der Planwirtschaft zeigt: Effizienz
und Qualität entstehen nicht im Kollektiv, sondern nur in einem qualifizierten
Team sich ergänzender Solisten. Vielleicht rächt sich hier der
europäische Individualismus. Jedenfalls haben uns die Japaner durch
ihr Gemeinschaftsdenken, das auch die Betriebe beherrscht, in puncto Qualität
vielfach ausgestochen. Denn Qualität ist eine Herausforderung, die alle
Mitarbeiter einbezieht. Jeder ist auf seinem Posten für Qualität
mitverantwortlich und trägt so zum Erfolg des Ganzen bei.
Diese Überlegungen werden von der Beobachtung bestätigt, dass die
meisten Systemprobleme selten technischer Art sind, sondern vom "Faktor
Mensch" abhängen. Viele Probleme werden effektiver gelöst,
wenn die beteiligten Mitarbeiter als Problemlöser agieren können.
So bleibt trotz allen technischen Fortschritts der arbeitende Mensch die
größte Reserve für Qualität und Wirtschaftlichkeit.
Er ist Ursache und letztlich auch Ziel der Produktionsprozesse. Dem tragen
aktuelle Konzepte von Qualitätsmanagement Rechnung. Indem sie sich "Total
Quality Management" nennen, machen sie den Anspruch deutlich, dass
Qualität eine umfassende Herausforderung ist.
Freilich fällt Qualität nicht vom Himmel. Soll es nicht bei bloßen
Absichtserklärungen bleiben, sind Rahmenbedingungen nötig, die
nicht nur technische Voraussetzungen für Qualität schaffen, sondern
auch organisatorische und personelle. Denn hier geht es um die Reaktivierung
der Qualitätsressource "Mensch". Es kommt darauf an, Mitarbeiter
zu schulen und sie mitverantwortlich in den Arbeitsprozess einzubinden. Konkrete
Maßnahmen sind etwa Lernstätten, betriebliches Vorschlagswesen
und so genannte Qualitätszirkel.
Offenbar besinnt man sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf den Menschen,
und das groteskerweise unter dem Diktat der Ökonomie. Total Quality
Management reduziert den Mitarbeiter nicht auf seine anonyme Arbeitskraft,
sondern fördert ihn als ganzen Menschen, der mit Leib und Seele bei
der Sache ist. Wie anders kann man das Bestreben verstehen, sich nicht mit
ameisenfleißigen, aber unmündigen Angestellten zu begnügen,
sondern mündige, verantwortungsbewusste Mitarbeiter zu fördern.
Was wirtschaftlich sinnvoll erscheint, deckt sich auffallend mit sozialethischen
Forderungen, wie sie von der Katholischen Soziallehre artikuliert wurden.
Nicht zuletzt Johannes Paul II. hat darauf hingewiesen, dass es falsch ist
zu glauben, heute arbeiten die Maschinen und nicht der Mensch. Vielmehr ist
es der Mensch, der arbeitet, weil alle Arbeitsprozesse von ihm ausgehen und
untrennbar mit ihm verbunden sind. Es geht nicht darum, dass in der Arbeit
bloß eine Sache bearbeitet wird, sondern dass der ganze Mensch als
Leib-Geist-Wesen an ihr beteiligt ist. In der Diktion der Sozialethik spricht
man davon, dass der Mensch das "Subjekt der Arbeit" ist. Das
heißt: Der Mensch – unabhängig von der konkreten Tätigkeit
– bildet den Zweck der Arbeit. Der Mensch ist nicht für die Arbeit
da, sondern umgekehrt. Die Parallele zum Qualitätsmanagement ist offensichtlich,
wenn letzteres den Menschen als Ursache und Ziel des Arbeitsprozesses und
damit als größte Reserve für Qualität entdeckt. Die
Absichten, den einzelnen Mitarbeiter eigenverantwortlich einzubinden, um
ihn so zu motivieren, auch mit Herzblut bei der Sache zu sein, bedeuten letztlich
die Entdeckung des Menschen als "Subjekt der Arbeit" durch die
Betriebswirtschaft.
An dieser Stelle erntet der Sozialethiker oft den Aufschrei derjenigen, die
mutmaßen, er wolle die Ethik den Zwängen der Wirtschaft unterwerfen.
Natürlich geht es nicht darum, Ethik zu ökonomisieren. Umgekehrt
ist es ausgesprochen unkonstruktiv, sachfremd auf dem Gebiet der Wirtschaft
zu moralisieren. Eher gilt es, wirtschaftlich Machbares mit moralisch Erstrebenswertem
in Einklang zu bringen. Wer in der Wirtschaft tätig ist, kann wirtschaftliche
Gesetzmäßigkeiten nicht ignorieren, und der Ethiker, der ihm helfen
möchte, ebenso wenig. Ein Unternehmer ist in das hochkomplexe System
gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten eingebunden. Eigenen Wünschen,
auch moralischen, setzen diese Abhängigkeiten zunächst Grenzen.
Respektiert er diese Grenzen nicht, wird er auch keine Chance mehr erhalten,
sich "moralisch" als Unternehmer zu betätigen. "Nur
ein existierender Unternehmer mit Gestaltungsmöglichkeiten kann ein
‚guter’, moralischer Unternehmer sein. Die erste Todsünde
des Unternehmers ist, dass er in die roten Zahlen gerät", schreibt
Wolfgang Ockenfels. Es gilt also, wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten
dem ethischen Bemühen um Humanität dienstbar zu machen. Beim Qualitätsmanagement
ist dies der Fall.
Der Nutzen für das Wohl des Menschen muss überprüfbar sein
Ohne Zweifel ist dessen ursprüngliches Motiv ein finanzielles: Um seine
Ziele zu erreichen, besinnt sich Qualitätsmanagement auf den Menschen
als Subjekt der Arbeit. Das ist nicht nur ein Gebot der Effektivität,
sondern auch ethisch "gut". Denn Ethik besteht als Anwalt des
Menschen darauf, dass Arbeit niemals nur eine Ware ist, sondern immer einen
personalen Charakter hat. Man sollte sich vom Vorurteil lösen, Ethik
und Effizienz müssten ein Widerspruch sein. Wirtschaftliche Effizienz
gedeiht nicht nur auf dem Boden rücksichtsloser Unmoralität, Ethik
besteht nicht in erster Linie aus mit erhobenem Zeigefinger vorgetragenen
Verzichtsaufforderungen. Damit beide zusammengehen können, muss sich
Ethik auch im System der Wirtschaft bewähren. Das heißt, dass
die Moral nicht grundsätzlich der Ökonomie entgegen laufen und
der moralisch Handelnde nicht dauernd im wirtschaftlichen System den Kürzeren
ziehen darf. Darum braucht Wirtschaft verbindliche Regeln, feste Ordnungsstrukturen,
die das verhindern. Es sind Formen zu finden, die jenen nicht mit Ineffizienz
bestrafen, der sich auch in der Wirtschaft an das Gebot der Menschlichkeit
hält. Sind wirtschaftliche Strukturen dergestalt, dass Humanität
in der Wirtschaft ständig ein Verlustgeschäft ist, dann sind sie
ungerecht und sozialethisch zu kritisieren. Es muss möglich sein, ethisch
gut zu handeln und zugleich nach den Gesetzen der Wirtschaft effizient zu
arbeiten. Der Gute darf nicht der Dumme sein.
Ethik kann das Wohl des Menschen ebenso wenig dem Belieben anheimstellen,
wie Qualität aus wirtschaftlicher Sicht nur ein Glücksfall sein
darf. Damit dies nicht der Fall ist, bemühen sich Qualitätsmanagement
und Ethik um Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass wirtschaftlicher
wie ethischer Erfolg nicht vom Wohlwollen der Beteiligten abhängen.
Vor allem der ethische Erfolg, der Nutzen für das Wohl des Menschen,
muss überprüfbar sein, notfalls eingefordert werden können.
Ein Anfang kann das Zertifizierungsverfahren nach ISO 9000 bis 9004 sein.
Es bescheinigt, dass das Qualitätssicherungssystem den genormten Forderungen
gerecht wird. Natürlich stehen in Industrienormen keine ethischen Qualitätsstandards.
Aber Qualitätsmanagement wertet den Menschen als Subjekt der Arbeit
auf, indem man den Mitarbeiter als verantwortungsvolle und kreative Person
ernstnimmt. Das ist zugleich eine ethische Forderung, deren Erfüllung
nicht nur vom Gutdünken des Unternehmers abhängen sollte. Durch
eine Zertifizierung könnte neben dem technischen Standard auch die Verwirklichung
solcher ethischen Anliegen überprüfbar werden. Das so genannte
Qualitätshandbuch, das Arbeitsprozesse dokumentiert, kann auch in diesem
Sinne eine Kontrollfunktion zugunsten des Mitarbeiters haben.
Von Oscar Wilde stammt der Ausspruch, er habe einen ganz einfachen Geschmack,
denn er sei immer mit dem Besten zufrieden. Die Kunst liegt darin zu erkennen,
dass das Beste für den Menschen nicht zum Schafen des Unternehmers sein
kann.
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