Die Tagespost 21.10.2000, Nr. 126

 

Manchmal darf sich Ethik ruhig auch auszahlen

Personalmanagement – Aktualität und ethische Relevanz / Von Alexander Saberschinsky

Die Wirtschaft boomt schon seit Jahren nicht mehr ungebremst und unterzieht große wie kleinere Unternehmen konjunkturellen Wechselbädern. Nicht wenige Betriebe kämpfen um ihre Existenz, damit die Dampfwalze der Globalisierung nicht über sie hinwegrollt. Da wundert es nicht, dass Firmen den Gürtel enger schnallen und über Kostensenkungsprogramme diskutieren. ‚Heilige Kühe’, die nicht geschlachtet werden dürfen, scheint es dabei nicht zu geben. So rationalisiert man nicht nur die herkömmlichen Produktionskonzepte technisch, sondern die ‚schlanken’ Fertigungs- und Managementkonzepte schonen auch den Kostenfaktor ‚Mensch’ nicht. Das sind die Sachzwänge des Marktes, denen auch die Unternehmen Rechnung tragen müssen, wenn sie denn überleben wollen.

Wie aktuell scheinen vor diesem Hintergrund die Aussagen der Katholischen Soziallehre, auf die zuletzt wieder der derzeitige Papst verstärkt in seinen Enzykliken hingewiesen hat? Es ist sicherlich lobenswert, vom Menschen als dem "Subjekt der Arbeit" und von der "Würde der menschlichen Arbeit" zu sprechen, doch lässt sich mit solchen Grundsätzen ein Betrieb rentabel leiten? Die Katholische Soziallehre wird jedenfalls nicht müde, den Menschen in den Mittelpunkt des Arbeitsprozesses zu stellen: Sie weist darauf hin, dass der vordergründige Eindruck täuscht, dass seit der Industrialisierung vor allem die Maschinen arbeiteten, denn das eigentliche Subjekt der Arbeit bleibt der Mensch als Person. Damit ist gemeint, dass jede Form von Arbeit letztlich auf den Menschen ausgerichtet ist und ihm dienen soll, sein Menschsein zu verwirklichen. Daher ist die ethische Position der Kirche, dass der Mensch niemals für die Arbeit da ist, sondern die Arbeit für den Menschen. Es bleibt letztlich der Zweck der Arbeit, und seine Würde als Person ist Maßstab der Arbeit.

Freilich weiß man auch auf kirchlicher Seite, dass diese allgemeinen, sehr abstrakten Aussagen am konkreten Arbeitsplatz im Betrieb realisiert werden müssen. Daher weist die jüngste Sozialenzyklika darauf hin, dass der Mensch ein Recht hat, seine Persönlichkeit am Arbeitsplatz einzubringen, so dass eine "menschliche Anteilnahme am Unternehmen" möglich wird. Dabei geht es auch darum, dass der Mensch sich durch seine Arbeit als Person verwirklicht, doch zugleich steckt dahinter die Erkenntnis, dass davon das Unternehmen profitiert. Wörtlich heißt es: "Die wichtigste Ressource des Menschen ist in der Tat ... der Mensch selbst." Und an anderer Stelle: "So ist heute der entscheidende Faktor immer mehr der Mensch selbst, das heißt seine Erkenntnisfähigkeit in Form wissenschaftlicher Einsicht, seine Fähigkeit, Organisation in Solidarität zu erstellen ..."

Doch trotz dieser Einsichten sieht es die Kirche nicht als ihre Aufgabe, nun eigene betriebswirtschaftliche Modelle vorzulegen. Sie anerkennt ihre Grenzen und versteht es als ihren Part, unermüdlich auf die geschilderten ethischen Maßstäbe bei der konkreten Ausgestaltung der Unternehmen hinzuweisen. Und offensichtlich trifft sie mit ihren Forderungen den Kern des Problems, denn von wirtschaftswissenschaftlicher Seite wird zunehmend eben das bestätigt, was die Ethik anmahnt: Der Mensch gehört – auch im Unternehmen – in den Mittelpunkt. Betriebswirte meinen heute genau dies, wenn sie von Personalmanagement sprechen. Was oder wen gilt es hier zu managen? Längst überholt ist es, unter Personal den unmündigen Untergegebenen zu verstehen, der für Geld seine Arbeitskraft verkauft und gefälligst stillschweigend den Anweisungen des Vorgesetzten zu folgen hat. Wo noch diese feudalistische Einstellung herrscht, fällt rasch die unwillige Aussage "immer Ärger mit dem Personal".

Hingegen versteht die aktuelle betriebswirtschaftliche Definition unter Personal die Gesamtheit aller Qualifikationen und Motivationen der Mitarbeiter, die erst den Gewinn eines Unternehmens ermöglichen. Es kann im Personalmanagement also nicht allein darum gehen, die Angestellten zu kommandieren und "auf Linie zu bringen". Vielmehr hat man die "Ressource Mensch" für das Unternehmen entdeckt, und zwar nicht als Arbeitsesel, sondern als motivierten und qualifizierten Mitarbeiter. Denn die meisten Systemprobleme in den Betrieben sind nicht technischer Art und werden effektiver gelöst, wenn die beteiligten Mitarbeiter als Problemlöser agieren können. Doch oft fragt man dieses Wissen der Mitarbeiter nicht ab. Nutzt man hingegen diese Kompetenz der Mitarbeiter, können – wie das Beispiel eines japanischen Autokonzerns belegt – bis zu neunzig Prozent der Innovationen direkt aus der Fertigung anstatt aus zentralen Entwicklungsabteilungen kommen. Ein solches innerbetriebliches Vorschlagswesen, das sich in so genannten Qualitätszirkeln institutionalisieren lässt, trägt nicht nur zur Effizienz des Unternehmens bei, sondern stärkt außerdem die Motivation der Mitarbeiter, weil diese verantwortlich mitgestalten können. Hier wird der Mitarbeiter zum Mitunternehmer im weitesten Sinne. Weitere positive Effekte sind verstärktes Engagement und höhere Arbeitszufriedenheit, die nicht nur die Arbeit "humanisieren", sondern auch dem Unternehmen zugute kommen.

Voraussetzung ist freilich, dass die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich kontinuierlich zu qualifizieren. Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter sind die zwei Standbeine des Personalmanagements, das erstens Personal aktiviert, zweitens Personal lenkt und drittens Personal bindet. Personalaktivierung bedeutet nicht nur Personalbeschaffung, also Einstellung neuer Arbeitskräfte, oder Versetzung von Personal, sondern auch durch Personalentwicklung Motivation und Qualifikation der schon im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter aufzubauen. Personallenkung beinhaltet zunächst die Beurteilung der Mitarbeiter. Sie muss nicht nur durch den Vorgesetzten, sondern kann auch durch den Kollegen erfolgen, dem man als firmeninterner ‚Kunde’ zuarbeitet. Daneben können im Rahmen der Personallenkung entsprechende Entgelt- und Anreizsysteme vorhandene und benötigte Qualifikationen sowie Motivationen einander annähern. Die Personalbindung schließlich, die die Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter erhalten soll, will den Mitarbeiter in das Unternehmen integrieren. Das kann unter anderem durch Mitarbeitergespräche geschehen, in denen Manager und Angestellte im Dialog Perspektiven entwickeln.

Das letzte Beispiel zeigt, dass eine solche Einbindung der Mitarbeiter Folgen für die Kommunikation innerhalb eines Unternehmens hat. Der Betrieb muss so organisiert sein, dass Kommunikation keine Glückssache bleibt. So kann es nicht sein, dass wichtige, qualitätssichernde Memos nie den Schreibtisch des Zuständigen erreichen, aber jedes Gerücht innerhalb einer Stunde allen Mitarbeitern, selbst in der Außenstelle, zu Ohren kommt. Wirkliche Kommunikation im Betrieb läuft auch nicht über das Schwarze Brett, sondern die effektivste Form ist das direkte Gespräch. Ebenso lässt sich Corporate Identity nicht über Videos vermitteln, sondern nur "face to face".

All dies sind Momente, die zu einer eigenen Unternehmenskultur führen. Denn kollektives Wohlergehen kann nicht ohne individuelles Wohlergehen der einzelnen Mitarbeiter entstehen. Das ist wichtig für die Unternehmenskultur, die wesentlich vom "Wir-Gefühl" im Unternehmen abhängt und davon, ob die Mitarbeiter sich mit "ihrem" Unternehmen identifizieren. Umfassende Unternehmens- bzw. Organisationsentwicklung bedeutet daher, Möglichkeiten zu eröffnen, in denen Kommunikation entsteht, Kreativität sich entfaltet und Ideen und Wissen mobilisiert werden. In einem solchen Organisationsmodell geht es nicht mehr in erster Linie darum, hierarchische Regeln festzuschreiben, in denen Führen Weisungen erteilen heißt, die die Mitarbeiter nur auszuführen haben. Der Mensch wäre dann nur Mittel. Der Mitarbeiter würde nicht als Person angesprochen, denn er hätte keine Chance, "mit Herz und Seele" bei der Sache zu sein. Ganz anders ein Modell, das den Menschen nicht als Mittel, sondern als Mittelpunkt versteht. Es gestaltet das Unternehmen als ein Beziehungsgefüge, das den Mitarbeiter motiviert und aktiviert, sich kreativ für das Unternehmensziel zu engagieren.

Dass ein qualifizierter und motivierter Angestellter gut für das Unternehmen ist, und zwar nicht nur ideell. sondern auch für diesen Gewinn, erklärt sich von selbst, denn das erhöhte Arbeitsengagement kommt der Qualität sowohl der Produkte als auch der externen wie internen Dienstleistungen zugute. Zugleich sind auf diese Weise wesentliche ethische Forderungen erfüllt, denn hier wird die zitierte Forderung der Katholischen Soziallehre nach der Möglichkeit "menschlicher Anteilnahme am Unternehmen" realisiert. Personalmanagement ist dann nicht nur für die Unternehmensbilanz gut, sondern auch ethisch, wenn es den Menschen nicht zum Lieferanten der Ware "Arbeit" degradiert, sondern als Person ernst nimmt. So können Ethik und Effizienz zusammenfallen. Daher weist Johannes Paul II. darauf hin, dass es die Produktivität steigert und außerdem den Menschen umfassend fördert, wenn das Unternehmen "nicht ausschließlich als ‚Kapitalgesellschaft’ angesehen" wird, sondern zugleich als eine "Gemeinschaft von Menschen". Dies gilt es, in aktuellen Konzepten des Personalmanagements zu verwirklichen.